“Hey Schneemann, was ist mit Dir?”, wollte er rufen und sagte es stattdessen in Gedanken zu sich selbst. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen, als er stehen blieb. Simon hatte Mitleid mit einem Schneemann, soweit war es gekommen. Gebeugt, der Windrichtung abgewandt, stand das weiße Häufchen Elend vor ihm und sprach Bände zu seinem Herzen.
Trübe Gedanken werden in ihm wachgerufen! Enttäuschungen und Traurigkeiten fluten seinen Bauch. Einzelne Gesprächsfetzen verknäulen sich mit Bildern aus der Vergangenheit: ein Blick, ein Streit, eine Schuld, eine Entfremdung. Traurig und gebeugt in einer weißen Wüste, gerade noch stehend, darüber das ewige Blau weit gespannt.

In diesem Moment kommt es ihm vor, als sei die Umkehrung allen Glücks, die andere Ausdehnung derselben Dimension, die gespiegelte Wahrheit eines erfüllten Lebens, nur seitenverkehrt. Es ist der Beweis dafür, dass Leben, Begegnungen, Gemeinschaft gelingen kann, eben nur mit umgekehrten Vorzeichen; als greifbares Indiz berechtigter Hoffnung. Als hätte man die Gussform eines Gipsbildreliefs in den Händen und müsste nur noch den passenden Gips, die richtigen Mischverhältnisse mit Wasser und die richtigen Trocknungszeiten und -bedingungen finden. Danach könnte man das Bild bemalen, in den schillerndsten Farben.

Es gehört zusammen, die Trauer und das Glück, dachte er; Sehnsucht und Hoffnung keimt nur auf dem Boden von Mangel und Bedürftigkeit und schafft damit erst ein wertvolles, weil zerbrechliches Gut. Hierin verliert sich alle Oberflächlichkeit! Genauso wie der Raum durch Höhe, Breite und Tiefe aufgespannt wird, zeigen sich die vielfältigen Facetten des Lebens erst in der Balance zwischen den Polen.

Es braucht das durstig sein und Hunger haben, um satt und zufrieden sein zu können. Es braucht den Streit und das Zerwürfnis; um sich versöhnen und vergeben zu können.

Von der aufkeimenden Zuversicht überrascht macht sich Simon wieder auf den Weg. Den knirschenden Schnee unter seinen Füßen, ein kalter Lufthauch und die strahlende Sonne im Gesicht.

MF.

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