
Gestern vormittag haben sich bei mir der Geruch und Geschmack ausgeknipst,
zack, einfach weg. Seit einer Woche flitzt das blöde Virus durch meinen Körper
und  schüttelt  alles  durch,  wir  kämpfen.  Dazu  kommt  das  „immer  in  der
Wohnung sein müssen“. Alle anderen meiner Familie sind auch da. Es wird eng,
raus  darf  ich  nicht,  die  Anderen  wollen  nicht.  Ich  hab  versucht,  sie  in  den
Garten zu zwingen, keine Chance. Dabei könnten sie, haben jedoch keine Lust.
Der  Mann  meines  Herzens  pendelt  zwischen  organisatorisch  versierter
Familienvater  und  eingesperrter  Tiger  hin  und  her.  Der  Sohn  versucht
beharrlich, seine Medienzeit ins Unendliche auszudehnen und die Tochter lebt
genauso wie vorher auch, in ihrem Zimmer. Höhle nennen wir das. Bloß gut,
dass sie das kann. 
Ich  schaffe  es  heute  nicht,  die  Symptome  zu  ignorieren,  habe  keine  Geduld
und bin extrem angefressen. Meine Schwester hat Geburtstag und ich darf sie
nicht besuchen, danke. Advent ohne Geruchssinn, ein sensationelles Gefühl. Ist
wie dabei sitzen und gleichzeitig draußen sein. Neben der Erkrankung fordern
organisatorische Dinge meine Konzentration, die Schulen informieren, mit dem
Arbeitgeber und dem Amt telefonieren und ich werde zur Tigerin am Anschlag,
ich motze und knurre. 
Die Höhlentochter und der Tigermann sagen gönnerhaft, mach doch mal was
Dir  gut  tut  und  geh  uns  nicht  auf  die  Nerven.  Was  denn,  rufe  ich  frustriert
zurück.  Normalerweise  würde  ich  in  so  einem  Fall  von  Kopfchaos  rausgehen
und  laufen,  alleine,  mindestens  eine  halbe  Stunde.  Um  danach,  bestenfalls
entspannter  wieder  heimzukommen.  Doch  draußen  laufen  darf  ich  nicht  und
beim Sport in der  Wohnung wird mir  die Luft knapp. Ich rette mich auf den
Balkon und schreibe, was ich sonst laufen würde. Teile mit und merke, wie sich
der Knoten in meiner Seele lockert. Es fängt ganz leicht an zu schneien, die
Wolken sind dunkel, in den Fenstern Lichterbögen. In allem gefühlten Desaster
ein heller, angenehmer Moment. 
Wir  sind  nicht  die  Einzigen.  Viele  andere  Menschen  sitzen  zur  Zeit  zuhause,
gehen  sich auf die Nerven oder  sind alleine und sonst irgendwie isoliert.  Mir
hilft unser Netzwerk. Freunde, die fragen oder denen ich die Situation schildern
kann.  Sich  mitteilen  zu  können  ist  sehr  wertvoll  in  einer  solchen  Zeit.  Ich
würde Euch gern motivieren, über Euern Tellerrand zu blicken. Wie geht es den
Menschen  um  Euch  herum  in  der Nachbarwohnung,  im  Team  bei der  Arbeit,
den DienstleisterInnen überall? 
Als ich dem Krankenpfleger beim Tschüss sagen „viel Kraft“ wünschte, war er
überrascht  und  hat  sich  bei  mir  bedankt.  Er  arbeitet  den  ganzen  Tag  in  der
Kälte am Drive-in der Testambulanz, ein krasser Job.
Vielleicht kriegen wir das hin, die Anderen zu sehen und zu hören, einfach, weil
es  zur  Zeit  besonders  wichtig  ist.  Nachfragen  und  Zuhören  und  ebenso  die
Dinge sagen zu können, die uns gerade beschäftigen. 
C.G.
 Jesus Freaks Chemnitz
Jesus Freaks Chemnitz